„Nicht auf Berlin warten, sondern selbst politischen Druck ausüben“

MdB Kordula-Schulz-Asche sprach am 16.02.2014 in Erlenbach über
„Gesundheit im ländlichen Raum“

IMG_5477 (2)Im Foyer der Frankenhalle Erlenbach referierte und diskutierte Gastrednerin Kordula Schulz-Asche, grüne Fachfrau für Gesundheit und Krankenhäuser und seit 2013 Bundestagsabgeordnete, zur Problematik der medizinischen Grundversorgung auf dem Land. Ihrer Meinung dürfen die Akteure nicht auf Berlin und damit neue gesetzliche Rahmenbedingungen warten, sondern sollten durch die bessere Vernetzung innerhalb regionaler Gesundheitskonferenzen vor Ort selbst etwas tun. Deutschlandweit gebe es zahlreiche Beispiele für solche Eigeninitiativen. Der Verschlechterung der Grundversorgung in zu sehr profitorientierten und das Wohl des Patienten aus dem Blick nehmenden Krankenhäusern könne man nur mit politischem Druck von unten begegnen.Kreisrätin und ehemalige Krankenhausbeirätin Marion Becker begrüßte die Anwesenden mit einem kurzen Rückblick auf den Verkauf des Erlenbacher Kreiskrankenhauses. Die Privatisierung sei 2005 erfolgt, weil „der Landrat die roten Zahlen loswerden wollte“. Außerdem hätten Schwing und die CSU Angst vor einem erfolgreichen Bürgerbegehren gehabt. Deswegen sei der Verkauf ans Rhönklinikum „ohne große Beratungen im Kreistag über die Bühne gegangen“.

Laut Landratskandidat Jens Marco Scherf sei dieser Verkauf wegen seiner negativen Konsequenzen für die Gesundheitsversorgung im Landkreis immer noch ein Thema, „das den Menschen unter den Nägeln brennt“. Wenn ein Konzern wie Fresenius, zu dem das Erlenbacher Krankenhaus inzwischen gehört, 15 Prozent Rendite ansteuert, könne dies nur auf Kosten der Versorgungsqualität geschehen.

Düster ist dann auch das Szenario, das die grüne Bundestagsabgeordnete und Gesundheitspolitikerin Kordula Schulz-Asche vor rund 30 Zuhörerinnen und Zuhörern entwarf: Alle bekannten Probleme unseres Gesundheitssystems würden in naher Zukunft noch viel schlimmer werden. Grund: Der demografische Wandel. Gerade in den ländlichen Gebieten wie dem Landkreis Miltenberg gehe v.a. die Zahl der jüngeren Menschen zurück. Resultat sei ein überproportional hoher Anteil von älteren Personen in den einzelnen Kommunen. Folge davon wiederum ein statistischer Anstieg chronischer Erkrankungen und des Bedarfs an Pflegeeinrichtungen. Die Babyboomer-Jahrgänge kämen ab 2020 ins Rentenalter. Diese demografische Entwicklung schlage auch in den für unser Gesundheitssystem relevanten Berufen durch, denn ab diesem Zeitpunkt werden sich auch überproportional viele Ärzte und Krankenschwestern in den wohlverdienten Ruhestand verabschieden. Die neue Ärztegeneration werde aus weit mehr Frauen bestehen als die bisherige, prinzipiell kein Grund zur Klage. Andererseits streben die Jungmedizinerinnen Arbeitsformen an, die mit Ehe und Familie in Einklang zu bringen sei. Dazu gehöre das klassische Bild vom Landarzt aber auf keinen Fall. Droht also eine Unterversorgung im Bereich der Hausärzte auf dem Land? Nach Ansicht Schulz-Asches, die als hessische Landtagsabgeordnete an Konzepten zur Gesundheitsversorgung auf dem Land mitgeschrieben hat, auf jeden Fall, wenn die Arbeitsverteilung nicht anders organisiert werde. „Die Kernfrage ist, was muss ein Arzt, was darf eine hochqualifizierte Pflegekraft tun!“ Gleichwohl stünden die ländlichen Regionen bereits heute vor dem Problem qualifizierte Fachkräfte zu finden.

Verbesserungspotential sieht Schulz-Asche in der Verbesserung des Übergangs zwischen ambulantem und stationärerem Sektor: „Hier brauchen wir einen transparenten Prozess mit kooperierenden Partnern.“ Die Kette von Hausarzt, Facharzt, Krankenhaus, zurück zum Hausarzt und eventuell Reha-Maßnahmen müsse besser verschränkt werden.

Angesichts der zu erwartenden Verdopplung der Zahl der Pflegebedürftigen bis zum Jahr 2030 komme der Prävention von Pflegebedürftigkeit eine entscheidende Bedeutung zu. Und hier seien die Kommunen gefragt, die Programme zur Mobilisierung älterer Menschen und damit zur Teilhabe an der Gemeinschaft auflegen könnten.

In der sich dem Vortrag anschließenden Diskussionsrunde warf Harald Fischmann die Frage auf, wie man Konzerne wie Fresenius dazu zwingen könne, „sich auf eine funktionierende regionale Gesundheitsversorgung einzulassen“. „Nur durch politischen Druck und kommunalen Widerstand“, lautete die Antwort Schulz-Asches. Dem stimmte Michael Bernhard, Betriebrat im Erlenbacher Krankenhaus, unumwunden zu: „Wir brauchen den Druck der Straße, sonst pressen Konzerne wie Fresenius alles raus“. Zum Schluss werde im Bereich der Pflege nur noch das Allernötigste gemacht, Leidtragende seien Patienten und Pflegepersonal. Auf die von der grünen Bundestagsabgeordneten ins Spiel gebrachten Idee, die Akteure der Gesundheitsversorgung durch regionale Gesundheitskonferenzen besser zu vernetzen, berichteten Andreas Schwab, Geschäftsführer des Erbacher Krankenhauses, und Gerhard Schuhmacher, 1. Vorsitzender der Caritas-Sozialstation St. Johannes, von diesbezüglichen Erfolgen. Schuhmacher, der das Desinteresse der Politiker an solchen Gesprächsrunden beklagte, sieht einen entscheidenden Fehler im Gesamtsystem: „Es dürfe nicht sein, dass Beiträge der Krankenversicherten missbraucht würden, um einen privatwirtschaftlichen Gewinn zu erzielen“. Laut Schulz-Asche spreche auch dieses Argument eindeutig für Krankenhäuser in kommunaler Hand. Doch der Zug sei im Landkreis Miltenberg „wegen der unüberdachten Entscheidung von Landrat und CSU-Mehrheit“ längst abgefahren.

Autor: Harald Fischmann, Pressesprecher

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